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Summary

Final Fantasy - He Poos Clouds

Ich habe mich noch nie so lang und eingehend mit einer CD der Woche beschäftigt!

Künstler: Final Fantasy
Album: He Poos Clouds
Mitglieder: Owen Pallett
Herkunft: Toronto, Kanada
Musikrichtung: Indieklassik (oder auch: komponierter und arrangierter Pop mit kammermusikalischer Instrumentierung)

Gebrauchsanweisung:
Nicht zurückschrecken!!! Diese Woche gibt's viel Text. Das liegt daran, dass ich noch eine Musikexpertin hinzugezogen habe.
So funktioniert's: Am Besten man hört sich zunächst den Beitrag an. Wer nur schnell wissen will, worum es geht, liest nur das Fazit ganz unten. Wer eine Einschätzung zur CD der Woche haben möchte, so wie sonst auch immer, der überspringt die kursiv geschriebenen Textpassagen. Wer sich für Musik interessiert bzw. das Album richtig kennenlernen möchte, der sollte alles lesen. Die kursiven Textstücke beschreiben die Besonderheiten jedes Titels - herausgefiltert von jemandem, der sich damit auskennt. Es lohnt sich; und jetzt viel Spaß!

Track 1: The Arctic Circle
„Der Song besitzt musikalische Kennzeichen, die ich in die Epoche ‚Mittelalter’ einsortieren würde. Auffällig ist besonders der Bordun-Klang. So nennt man die Töne, die mittels einer mittelalterlichen Laute produziert werden.“

Ich habe mich noch nie so lang und eingehend mit einer CD der Woche beschäftigt: die 37 Minuten 25 Sekunden lange Scheibe kenne ich nun wirklich auswendig, nachdem ich sie bisher grob 20 Mal gehört habe – auf diversen Anlagen diverser Qualität in diversen Zimmern, im Auto, per Kopfhörer, usw. Außerdem habe ich mit einer Musikexpertin ausgiebig darüber diskutiert (ihre Anmerkungen zum Album im kursiven Text).
Das Ergebnis: das 2. Album von Final Fantasy ist weder massenkompatibel noch radiotauglich – die perfekte CD der Woche!

Track 2: He Poos Clouds
„Der Stil fällt eindeutig in die ‚Moderne’. Bei dem Song kommt am Besten die Affektdarstellung zum Ausdruck, die sich durch das gesamte Album zieht. Das bedeutet, Owens Stimme wird durch die Instrumente immer mit der passenden Emotion unterstützt.“

Erinnerungen werden wach an ehemalige CDs der Wochen wie Scout Niblett, die Dame, die eine Art Theaterstück auf Platte umgesetzt hat, oder Vorsprung durch Technik, deren hervorragendes Werk epische Ausmaße in Fülle, Dichte und Länge der Songtitel im Chillout-Bereich angenommen hat. Und nun eben Final Fantasy: ein Kanadier mit einer unglaublichen Stimme, der in einem unglaublich schweren und heute kaum noch zu findenden klassischen Stil singt und als Instrumentierung ein Kammerorchester benutzt. Irgendwie habe ich etwas mit schwierigen CDs der Woche.

Track 3: This Lamb Sells Condos
„Das Klavier wird sehr jazzig gespielt. Dadurch erinnert das Stück an die Aleatorik, d.h. Zufallsmusik – eben wie Jazz. Allerdings klingt die Melodie etwas zu glatt und gerade. Interessant wäre auch zu wissen, ob die Tonfolge improvisiert wurde, denn das ist elementar für den Jazz. Die unterstützenden Streicher bringen wieder das Motiv der Kammermusik in Erinnerung.“

Wieso also „He Poos Clouds“? An mangelnder Auswahl hat es wahrlich nicht gelegen: Lou Rhodes, The Strike Boys, Super700, Archive, etc. – alles Alben, die Ende Mai/Anfang Juni veröffentlicht werden und ebenfalls die Krone der CD der Woche verdient hätten.
Die Antwort ist simpel und gleichzeitig eine zum Denken anregende Gegenfrage: wo bekommt solch ein geniales und innovatives Werk sonst eine Plattform? Das Album ist toll; es muss einfach vorgestellt werden!

Track 4: If I Were A Carp
„Insgesamt arbeitet Owen viel mit dem musikalischen Stilmittel der Imitation, also die Wiederholung von bestimmten Motiven und Melodien. Das hört man besonders bei der Geige in diesem Titel. Die Imitation als Stilmittel wird seit der ‚Wiener Klassik’ eingesetzt.“

Das Album hält viel mehr bereit, als ich jemals hätte entdecken können. Da hilft nur eins: Ich brauche einen Experten. Zum Glück kenne ich eine Studentin, die ihr Abitur mittels Leistungskurs Musik erworben hat. Sie kennt sich aus, keine Frage! Und so führte sie mich (und nun auch euch) in die Feinheiten der CD ein. Die kursiv geschriebenen Textpassagen geben die Besonderheiten des jeweiligen Songs wieder, wobei Track 5 ausgelassen wurde, da dieser ein Zwischenstück ist.

Track 6: I’m Afraid Of Japan
„Gesang, Bildhaftigkeit und Affektdarstellung deuten auf die Epoche der Renaissance hin. Problem: zu dieser Zeit hat man noch keine Geigen verwendet und Dissonanzen waren ‚verboten’. Da sieht man die Vermischung verschiedener Epochen.“

Als erstes räumte meine Expertin mit dem Vorurteil auf, ich hätte es mit einer Klassik-CD zu tun. Denn das, was Ottonormalverbraucher als Klassik bezeichnen – also orchestrale Musik –, gliedert sich in mehrere Epochen auf: Mittelalter (Minnesang), Renaissance (Orlando di Lasso), Barock (Bach, Vivaldi, Händl), Wiener Klassik (Haydn, Mozart, Beethoven), Romantik (Schubert, Schumann, Wagner, Brahms), Neue Musik/Moderne (Carl Orff, Béla Bartok).
Aha, Klassik ist also nur eine der Epochen – und zwar die Kürzeste.

Track 7: Song Song Song
„Der erste Teil des Songs fällt komplett aus dem Album raus. Der Einsatz von Percussion und Pauken erinnert an ‚Music Concrete’ (Musik mit Alltagsgegenständen -> Vergleich: Blue Man Group) oder den ‚Expressionismus’. Später erfolgt dann die Auflockerung durch eine Geige, deren Läufe auf eine barocke Art und Weise gespielt werden. Es erinnert mich etwas an Vivaldi. Eine tolle Mischung!“

Final Fantasy ist, wenn überhaupt, der Moderne zuzuordnen. Aber jeder Musikauskenner (vielleicht auch Owen selbst) geißelte mich, wenn ich „He Poos Clouds“ als reine Kammermusik abtäte. Denn, so habe ich gelernt: jede Epoche besitzt eigene Regeln für die Komposition von Musikstücken, woran sich alle Komponisten halten mussten/müssen und was die Werke dann unverwechselbar macht. Der Kanadier hingegen pickt sich aus verschiedenen Epochen einzelne Elemente heraus und reichert das Ganze dann mit modernen Einschlägen an.

Track 8: Many Lives -> 49 mp
„Die Single ist am klarsten an die Kammermusik angelehnt: ein braver Kontrabass gibt den Rahmen, die Geige spielt lockere Ausflüge; der Gesang überwiegt nicht, sondern fügt sich als Teil der Instrumentierung ein. Das zieht sich durch das gesamte Werk und zeigt wie wichtig dem Künstler die Musik ist und nicht etwa sein Gesang.“

Dass diese CD anders ist als alles, was man sonst so hört (zumindest im Radio), springt wohl jedem ins Ohr. Das liegt auch daran, dass Owen alle Stücke vom ersten Ton an selbst komponiert hat. Richtig alte Schule: einsam im alten, verstaubten Kämmerlein vor einem Notenblatt kauernd und so. Ok, die Art und Weise ist bloße Vermutung – dass er komponiert, arrangiert und nichts dem Zufall überlässt aber nicht.
Ich selbst hasse es, wenn Musikkritiker für jede Band eine eigene Musikrichtung definieren wollen, obwohl der Sound schon von ungefähr 1000 weiteren Musikkapellen gedudelt wird. Im Fall von Final Fantasy gibt es aber keinen Vergleich. Es klingt einfach nichts anderes so! Also her mit einer Bezeichnung: Indieklassik.

Track 9: Do You Love?
„Eine Besonderheit in der Instrumentierung: zum ersten Mal taucht ein Akkordeon auf. Allerdings wird es keineswegs als Soloinstrument eingesetzt, sondern wirkt rhythmusgebend fast wie ein Drumset. Außerdem spielen alle Instrumente zeitweise die gleichen Läufe. Das erzeugt Pausen und wirkt gleichzeitig pompös. Wie in vielen Liedern werden Schreie als modernes Element eingesetzt.“

Frage: Was rechtfertigt das „Indie“ vor dem „Klassik“? Gute Frage! Nun, zu allererst ist und bleibt Final Fantasy eher Pop als Klassik. Das zeigt allein schon die Länge des Albums bzw. die Songausmaße – feine und angenehme 3 bis 4 Minuten.
Geht man noch weiter ins Detail, so eröffnen sich einem indieske Einflüsse: mal singt Owen, mal schreit und schrillt er; die Unterstützung eines Effektgerätes für die Stimme à la finn. darf nicht fehlen; Chöre, die lieblich säuseln, um dann verächtlich zu schreien; ab und zu vernimmt man bei genauem Hinhören ein Brummen eines Synthesizers; und überhaupt rasten die Instrumente je nach Stimmung einfach gerne mal aus.
Um doch noch einen Vergleich zu bemühen: The Broken Social Scene in kammermusikalischem Gewand.

Track 10: The Pooka Sings
„Die Verwendung von Dissonanzen scheint Owens Hobby zu sein – auf dem ganzen Album, nicht nur bei dem Track hier. Für das normale Gehör klingen diese Sekund- und Septklänge häufig schräg und etwas falsch; für den Musikliebhaber bleibt es ein Ohrenschmaus. Für das Indieohr wohl auch – da darf’s ja ruhig mal schräg sein. Interessant: im Hintergrund rumpelt eine Art Trauermarsch.“

Es ist einfach toll, dass es solche Musik noch gibt. Damit ist nicht unbedingt die Kammermusik gemeint, sondern Musik, die Musikredakteure wie mich, die wöchentlich zwischen 15 und 25 CDs hören, wirklich noch überraschen kann. Das allein ist eine Nominierung zur CD der Woche wert – auch wenn das Album vielleicht nicht so viele Menschen anhebt.

Fazit:

„Das Album besteht aus zwei Grundmerkmalen, die gemeinsam eine hervorragende Mischung eingehen.

  • Zum einen der Gesang Owens: er singt in einer Art und Weise, wie sie heute kaum noch zu hören ist. Solch schwierige Melodien, die zum Mitsingen völlig untauglich sind, waren bis zur Wiener Klassik (ab 1750) beliebt.
    Außerdem kann er singen! Sein Ambitus, sprich sein tonales Spektrum, ist unglaublich ausgeprägt – von der Bass- bis zur Altstimme.
  • Zum zweiten die Instrumentierung: sie ist nicht nur ungewöhnlich gewählt, sondern auch perfekt eingesetzt. In Symbiose mit der Stimme schafft Final Fantasy eine unglaubliche Emotionalität.

Dazu noch die Indie-Einflüsse als Komponente der Moderne machen ‚He Poos Clouds’ einzigartig und interessant.“

Ich danke meiner Musikexpertin für die qualifizierten Einschätzungen!

Klassiker: Sebastian Schlegel
 

So klingt Indieklassik -> der Beitrag

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