Band: Radiohead
Album: The King Of Limbs
Herkunft: Oxford, UK
Mitglieder: Thom Yorke (weinerlicher Gesang, Gitarre, Piano), Johnny Greenwood (Gitarre, Keyboard), Pil Selway (Drums) , Ed O'Brien (Gitarre), Colin Greenwood (Bass)
klingt wie: Radiohead
„Transmitter! Picking up something good/ Hey! radio head! The sound...of a brand-new world“
Der Kopf: neben dem Herz der wohl wichtigste Bestandteil des menschlichen Daseins. Er verleiht uns ein Gesicht, unserem Geist eine Herberge, unserer Sprache ein Zentrum. Hier herrscht Gehirn, nicht nur als gallertartige Masse, sondern auch als Symbol für Intelligenz. Ratio zwietrachtet mit Imagination, Verstand verspottet Gefühl, Intellekt möchte expandieren.
Wer als Mensch zum kreativen Kollektiv gleichgeschalteter Individualisten gehören möchte sollte irgendwas mit Medien machen. Wer als Musiker allerdings unantastbar werden will, irgendwas mit Kopf.
Und so schritt Mitte der 80er Jahre eine der einflussreichsten, aber auch eigenwilligsten, und ja, auch verkopftesten Bands ihrer damaligen Zeit, die Talking Heads, zur Tat, um einen Song aufzunehmen, der als Namensgeber für eine der, wenn nicht sogar die einflussreichste, eigenwilligste, und ja, vor allem verkopfteste Band dieser heutigen Zeit fungierte: Radiohead.
Radiohead sind der Kopf der Popwelt, der verkörperte Geist zeitgenössischer Unterhaltungsmusik. Ihre scheinbar radioförmig gewachsenen Köpfe ein Symbol für die Verknüpfung zwischen Geist und Musik, die vor allem aber auch die immerwährende Frage aufwirft, ob Musik als solche nun ein Konstrukt von Kopf oder Herz ist, oder doch einer höheren Macht entspringt, deren fundierten Erklärung man nicht gewachsen ist. Radiohead wollen beides: Herz und Kopf. Ein doch eigentlich so unlösbarer Zwiespalt, der beim Hörer ebensolche impulsive Reaktionen auslöst: entweder begegnet man den Briten mit stringenter Abweisung oder aber mit glühender Zuneigung. Man hasst sie. Oder man liebt sie. Nur ignorieren kann man sie nicht.
Dabei war das zu Zeiten des Debüts noch ganz einfach. Radiohead, eine Britpop-Band unter vielen. Erst die über all die Jahre hinweg verfolgte konsequente stilistische Weiterentwicklung bis hin zur Einzigartigkeit verlieh der Band einen mittlerweile gottgleichen Status. Radiohead, die eine Band über allen, die unantastbar jeglicher Klassifizierung trotzt. Die plötzlich mit gewöhnlicher Rockmusik bricht, mit Ambient, Jazz und Elektronika hantiert, dann doch wieder zur Gitarre greift und somit einen ungewöhnlichen Spagat schlägt zwischen Breitwand und Feinsinn, zwischen Masse und Avantgarde. Zehn Meilen über dem Durchschnitt, aber immer konsensfähig. Und dennoch fern von Konventionen. Das gilt in erster Linie für ihre Musik, aber genauso auch für alles, was diese umgibt. Ihre Veröffentlichungspolitik ist seit In Rainbows (2007) Zuckerbrot für Fans, Peitsche für Labels, Spiegel für die Musikjournalie und Zäsur für Musikdistribution im digitalem Zeitalter. the sound...of a brand new world.
Vergangenes Wochenende öffnete sich via Downloadfenster für die in eine ca. fünftägige zittrige Ehrfurcht erstarrte Musikwelt wieder das Tor zu einer neuen brandneuen Welt: eine bisher unentdeckte Galaxie im Kosmos von Radiohead, genannt The King Of The Limbs. Gleich nach Entpacken der Dateien wurden weltweit grundphilosophische Fragen aufgeworfen und Verschwörungstheorien diskutiert: Ist das alles? Wann kommt Teil Zwei? Wo knüpfen sie an? Wo hören sie auf? Wo sind die Gitarren hin? Welche Rolle spielt The Eraser? Und ist das jetzt schon der Kommentar zum Post-Dubstep?
Die verkopfteste Band der Welt hatte die Denker wieder zum Denken gebracht. Analyse im Progress. Während die einen analysieren, einordnen und strukturieren, schließen andere einfach die Augen und lassen sich fallen. Sie wissen – diese Band fängt sie auf und holt sie ab. Egal wo. Egal womit.
Denn ob da jetzt gerade Four Tet, Burial oder Flying Lotus referiert wird, spielt letztendlich keine Rolle – wenn man denn bereit ist, sich kompromisslos auf die vermehrt elektronischen Experimente der Band einzulassen und die ewige, sinnlose Suche nach Vergleichbarem aufzugeben.
Der Sog ihrer Musik ist am Ende stets stärker als jegliche analytische Gebärde bei dem Versuch, dem Schaffen der Band mit besonders scharfsinnigen Worten gerecht zu werden. Der Spaziergang durch die warmen, außergewöhnlichen Klanglandschaften ist eine Reise mit individuellem Ziel. Den einen führt er auf den hellen Pfad der Erleuchtung, den anderen stürzt er in eine triefend dunkle Woge der Melancholie. Der transzendente Strudel aus Gitarren und Beats, den Radiohead seit dem Jahr 2000 verfolgen und zunehmend verdichten, reißt zwar jeden irgendwo mit – spült uns aber alle an verschiedene Ufer.
Vollkommen in sich geschlossen und ausgefeilt bis ins letze Detail sitzt hier alles, aber wirklich alles, am richtigen Platz. Doch Radiohead sind nicht die Band für catchy Hooklines oder penetrante Ohrwürmer – das haben sie spätestens auf Kid A schon angedeutet, das manifestieren sie nun endgültig mit The King Of Limbs. Radiohead brauchen keine Melodien, keine nachvollziehbaren Songstrukturen, sie schreiben keine Hits. Ihre Kunst liegt im Detailreichtum ihrer Arrangements, im Klangspektrum ihrer Instrumente, in der Fähigkeit zur Aquarell-Malerei mit Tönen. Perfekt konstruierte Kopfmusik eben, die dennoch ins Herz trifft.
Anspielen:
- Lotus Flower
- Morning Mr. Magpie
- Seperator
- Bloom
- Give Up The Ghost
yesterday I woke up sucking a lemon: Johanna Eisner
herunterladen:
http://www.thekingoflimbs.com/DIEUR.htm
amüsieren:
http://www.lastfm.de/music/Radiohead/+shoutbox
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